Lucas Forstmeyer

Meine intellektuelle Reise hinter der Theorie
Wenn du dich fragst, woher meine Konzepte kommen – ob das Bindungs-Status-Modell wissenschaftlich fundiert ist oder "nur" eine persönliche Theorie – dann ist diese Seite für dich. Mein Ansatz ist kein Zufallsprodukt. Er ist das Ergebnis von mehr als einem Jahrzehnt Beobachtung, Lehre und Begleitung von Paaren – und der Integration von mehreren führenden Forschungslinien:
- John Gottman: Was in Beziehungen wirklich passiert (Beobachtung)
- Sue Johnson/EFT: Warum wir Bindung suchen (Emotion)
- Status-Forschung: Warum wir uns verteidigen (Kompetenz)
- Polyvagal-Theorie: Was in unserem Nervensystem und Unbewussten passiert
1. Das Fundament: Was wir wirklich in Beziehungen TUN (John Gottman)
Ich halte John Gottman für den Forscher, der bisher die präzisesten und empirischsten Beschreibungen realer Beziehungsdynamiken geliefert hat.
Was Gottman auszeichnet, ist nicht Theorie, sondern Beobachtung. Er hat über Jahrzehnte hinweg Paare beobachtet und daraus Muster destilliert, die auf Mikroverhaltensebene funktionieren. Begriffe wie „Turning Toward“, „Bids for Connection“ oder „Repair Attempts“ sind präzise Beschreibungen von beobachtbaren Verhaltensweisen mit messbarer emotionaler Wirkung.
Diese Kombination aus empirischer Beobachtung und praktischer Umsetzbarkeit macht seine Arbeit für mich zu einem der tragfähigsten Fundamente moderner Paararbeit.
2. Die emotionale Tiefe: Warum wir es tun (Emotionally Focused Therapy)
Gottman beschreibt brillant was passiert – aber weniger warum es passiert. Die emotionale Landkarte dahinter liefert die Emotionally Focused Therapy (EFT) nach Sue Johnson.
EFT konzentriert sich auf Momente tiefer emotionaler Verbundenheit – im Kern sind das Ko-Regulationsmomente, in denen zwei Nervensysteme in Sicherheit und Verbindung schwingen. EFT gilt heute als die wirksamste bekannte Form von Paartherapie und bildet die Basis für mein Verständnis von emotionaler Sicherheit.
3. Die unsichtbare Kraft: Status in sozialen Systemen
Was sowohl Gottman als auch EFT weniger beleuchten, ist die Rolle von Status – also das Bedürfnis nach Wert, Respekt und Einfluss in sozialen Interaktionen.
Warum Status in Beziehungsansätzen fehlt: Eine persönliche Beobachtung
Über Jahre hinweg habe ich in verschiedenen Szenen gearbeitet und beobachtet – Personal Growth, traumasensitive Ausbildungen, spirituelle Communities. In all diesen Kontexten wurde Status und das Streben nach Anerkennung meist auf zwei Arten gedeutet:
- Als Zeichen fehlender Entwicklung ("unreif", "nicht bewusst genug")
- Als Ausdruck unsicherer Bindung und unverarbeiteten Traumas
Die implizite Vision dieser Bewegungen lautet: Wenn wir nur unser Trauma heilen und uns entwickeln, werden wir die Welt transformieren – hin zu mehr Mitgefühl, Verbundenheit und einer Überwindung von Ego und Status.
Doch über die Jahre erkannte ich drei grundlegende Widersprüche:
1. Diese Szenen ziehen einen bestimmten Persönlichkeitstyp an Die Menschen, die sich für Heilung, Bewusstheit und Verbindung begeistern, teilen oft ähnliche Persönlichkeitsmerkmale: hohe Verträglichkeit (Agreeableness), Offenheit für Erfahrungen und oft erhöhte negative Emotionalität. Ihre Welt passt zu ihren Idealen. Aber es gibt Millionen Menschen – nicht weniger gesund, nicht weniger kompetent – die mit dieser Weltsicht nichts anfangen können. Hoch gewissenhafte Macher, disagreeable Führungspersönlichkeiten, pragmatische Ingenieure: Sie sind nicht "kaputt", sie haben nur andere Prioritäten und Bedürfnisse.
2. Statusspiele verschwinden nicht – sie verkleiden sich Selbst in den "bewusstesten" und "heilsamsten" Räumen existieren klare Hierarchien und Statusspiele. Sie laufen nur über andere Währungen: Wer ist am empathischsten? Wer hat das meiste Trauma verarbeitet? Wer ist am "bewusstesten"? Wer darf anderen Feedback geben? Das Spiel ändert sich – Status bleibt.
3. Wenn selbst die "Heilungsfokussierten" in vorhersagbaren Mustern stecken, wie stark muss es dann für alle anderen sein? Menschen, die einen Großteil ihrer Energie auf innere Arbeit verwenden, kämpfen dennoch mit denselben Dynamiken. Wenn selbst sie Status, Anerkennung und Einfluss suchen – oft unbewusst und trotz gegenteiliger Ideale – dann ist Status kein Bug, den man wegheilen kann. Es ist ein Feature menschlicher Sozialität.
Die Grundhaltung, die daraus folgt
- Menschliche Unterschiede sind normal. Persönlichkeitsmerkmale wie die Big Five sind zu großen Teilen biologisch verankert. Wir können sie modulieren, aber nicht fundamental ändern.
- Status ist kein Defizit. Das Bedürfnis nach Wert, Respekt und Einfluss ist kein Zeichen von Unreife oder fehlender Bindungssicherheit. Es ist eine eigenständige, legitime menschliche Motivation.
- Um Menschen zu verstehen, müssen wir über Status sprechen dürfen. Sowohl in Gruppen als auch in intimen Beziehungen.
Die wissenschaftliche Fundierung: Status als fundamentales Motiv
Status ist eines der am besten erforschten Motive der Sozialwissenschaften – auch wenn er in der Beziehungstherapie oft übersehen wird.
- Evolutionspsychologie: Status sicherte über Jahrtausende Überlebenschancen und Fortpflanzungserfolg. Das Bedürfnis nach Rang und Anerkennung ist tief in unserem Nervensystem verankert (Buss, 2015; Cosmides & Tooby, 2013).
- Neurowissenschaft: Status-Bedrohungen aktivieren dieselben Hirnareale wie körperlicher Schmerz (Eisenberger & Lieberman, 2004). Status-Erhöhungen aktivieren das Belohnungssystem wie Nahrung oder Sex (Zink et al., 2008). Unser Gehirn behandelt Status wie ein primäres Bedürfnis.
- Sozialpsychologie: Joseph Henrich und Kollegen zeigen in kulturvergleichenden Studien, dass Status-Streben in allen bekannten Kulturen existiert – wenn auch in unterschiedlichen Formen (Henrich & Gil-White, 2001). Status ist universell, nicht kulturell bedingt.
Die Psychologie des sozialen Status (Cheng et al., 2018): In ihrem umfassenden Sammelwerk "The Psychology of Social Status" zeigen Joey Cheng, Jessica Tracy und Cameron Anderson, dass Status nicht nur ein Motiv unter vielen ist – es ist eine zentrale organisierende Kraft menschlicher Sozialität. Ihre Forschung belegt:
- Status beeinflusst, wie wir denken, fühlen und uns verhalten – oft unbewusst
- Es gibt zwei grundlegende Wege zu Status: Dominanz (durch Durchsetzung und Wettbewerb) und Prestige (durch Kompetenz und freiwillige Anerkennung)
- Status-Bedrohungen führen zu Stress, Rückzug und Defensivität – unabhängig davon, wie "bewusst" oder "geheilt" jemand ist
- Status ist nicht pathologisch – es ist adaptiv und funktional für soziale Koordination
Organisationsforschung: Studien zeigen, dass Status-Bedrohungen im Arbeitskontext zu Rückzug, Defensivität und Konfliktvermeidung führen (Anderson & Brion, 2014). Die Muster, die wir im Büro sehen, spielen sich im Wohnzimmer genauso ab.
4. Warum Status in Beziehungen übersehen wird – und warum das ein Problem ist
Die meisten Beziehungsansätze fokussieren ausschließlich auf Bindung und Nähe. Die Frage lautet: "Bist du für mich da?" (Bindung). Was übersehen wird, ist die zweite, ebenso fundamentale Frage: "Bin ich dir etwas wert? Habe ich Einfluss auf dich? Respektierst du meine Kompetenz?" (Status).
Diese Auslassung hat reale Konsequenzen:
Für Vermeider/Distancer: Sie erleben emotionale Gespräche nicht primär als Einladung zur Verbindung, sondern als implizite Kritik an ihrer Kompetenz. Der gut gemeinte Satz "Wir müssen reden" wird gehört als "Du machst etwas falsch. Du bist nicht genug." Ihr Rückzug ist kein Bindungsproblem – es ist Status-Schutz.
Für Verfolger/Pursuer: Wenn sie nicht verstehen, dass ihr Partner einen Status-Verlust erlebt, interpretieren sie seinen Rückzug als Bindungsabbruch ("Er liebt mich nicht mehr"). Sie erhöhen den Druck – was den Status-Verlust des Partners weiter vertieft. Die Spirale dreht sich schneller.
Für die Beziehung: Ohne die Status-Dimension wird die Nähe-Distanz-Spirale unlösbar. Man behandelt ein Zwei-Dimensionen-Problem mit einer Ein-Dimensionen-Lösung.
5. Das Bindungs-Status-Modell: Die Integration beider Dimensionen
Darum arbeite ich mit einem Bindungs-Status-Modell:
- Bindung erklärt, was wir suchen: Sicherheit, Nähe, emotionale Resonanz
- Status erklärt, warum wir uns verteidigen: Schutz vor Abwertung, Verlust von Einfluss, Gefühl der Inkompetenz
Beide sind fundamental. Beide sind legitim. Beide müssen anerkannt werden, damit Paare aus der Spirale aussteigen können.
Das bedeutet nicht, Status über Bindung zu stellen. Es bedeutet, beide Dimensionen gleichzeitig zu sehen – und zu verstehen, dass sie sich gegenseitig bedingen. Nur wenn beide Partner sich in ihrem Status sicher fühlen, können sie sich auf das Bindungsspiel einlassen. Und nur wenn das Bindungsspiel funktioniert, wird Status nicht zum permanenten Kampf.
6. Meine Rolle: Lernarchitekt für emotionale Kompetenz
Ich sehe Beziehung als Lernfeld, nicht als Therapieprozess. Die meisten Paare wissen theoretisch, was sie tun sollten ("besser kommunizieren", "mehr zuhören"). Aber Wissen allein verändert nichts.
Meine Rolle ist die eines Lernarchitekten:
Ich gestalte strukturierte Lernpfade, die drei Ebenen verbinden:
- Verstehen: Warum verhältst du dich so? (Das Bindungs-Status-Modell)
- Erkennen: Wann passiert es? (Die 4 Vertrauens-Situationen)
- Üben: Wie reagierst du anders? (Brückenmomente im Alltag)
Der Unterschied zur Therapie:
- Therapie fokussiert auf Heilung von Verletzungen (Vergangenheit)
- Lernarchitektur fokussiert auf Erwerb neuer Fähigkeiten (Zukunft)
Konkret bedeutet das:Statt wochenlanger Gespräche über Kindheitsmuster trainiert ihr, wie ihr:
- In Momenten der Überforderung ankündigt statt verschwindet
- Emotionale Bids erkennt und darauf eingeht
- Nach Konflikten repariert statt zu grollen
Das Ziel ist funktionale Beziehungskompetenz: die Fähigkeit, als System reguliert und verbunden zu bleiben, auch wenn es schwierig wird. Das ist kein esoterischer Prozess, sondern ein erlernbarer Skill – wie Autofahren oder eine Fremdsprache.
Quellen:
I. Grundlegende Beziehungsforschung
- The Pursuer-Distancer Dynamic (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- Gottman: The Science of Trust (GB) | Buch (n.d.)
- Gottman: Principia Amoris (GB) | Buch (n.d.)
- Johnson: Hold Me Tight (GB) | Buch (2008)
II. Mechanismen & Lösungen
- Small Things Often: Ingredients for a Happy Relationship (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- Bids for Connection (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- Mutual Benefits of Accepting Influence (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- The 5 Couple Types (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- Make Life Dreams Come True (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
- Dreams Within Conflict: The Gottman Method for Deeper Understanding (Cascade Counseling) | Artikel (n.d.)
- Fight Right: How Successful Couples Turn Conflict Into Connection (GB) | Buch (n.d.)
- Invest in Your Relationship: Emotional Bank Account (Gottman Blog) | Blog Post (n.d.)
III. Status & Evolutionäre Psychologie
- Hierometer Theory (Mahadevan et al.) | Studie (2023)
- Will Storr: The Status Game (GB) | Buch (2021)
- Unified Science of Hierarchy (Dominance vs. Prestige) | Kapitel/Sammelwerk (2018)
- Why rejection hurts: The neurocognitive overlap between physical and social pain (Eisenberger & Lieberman, 2004
- Know your place: Neural processing of social hierarchy in humans (Zink et al., 2008)
- The evolution of prestige: Freely conferred deference as a mechanism for enhancing the benefits of cultural transmission (Henrich & Gil-White, 2001)