Bindungstrauma
Detaillierte Beschreibung
Bindungstrauma entsteht nicht zwingend durch offenkundigen Missbrauch, sondern oft durch eine subtile, aber chronische Nichterfüllung emotionaler Bedürfnisse. Wenn ein Kind wiederholt erlebt, dass seine Signale nicht feinfühlig beantwortet werden, lernt sein System, mit Überforderung und Schmerz allein umzugehen. Dies hinterlässt Spuren auf neurobiologischer Ebene, insbesondere in der rechten Gehirnhälfte, die für emotionale Wahrnehmung und Selbstregulation zuständig ist.
Das Nervensystem entwickelt eine dauerhafte Tendenz, Gefahr schneller wahrzunehmen und selbst neutrale Signale als bedrohlich zu interpretieren. Modelle wie NARM (Dr. Laurence Heller) erklären, wie in verschiedenen Entwicklungsphasen (Kontakt, Einstimmung, Vertrauen etc.) unterschiedliche Überlebensstrategien entstehen. Im IFS-Modell (Internal Family Systems) werden diese Strategien als "Beschützer-Teile" verstanden, die die verletzlichen, "verbannten" Anteile vor weiterem Schmerz bewahren sollen.
Kontext
Bindungstrauma ist oft der Nährboden für die Entstehung der Nähe-Distanz-Spirale. Die im Trauma erlernten Schutzstrategien manifestieren sich im Erwachsenenalter als die Rollen des Verfolgers (z.B. laut werden, um gesehen zu werden) oder des Vermeiders (z.B. Rückzug zum Selbstschutz). Wichtig ist dabei: Diese Muster müssen nicht vollständig "geheilt" werden. Stattdessen ist das Ziel, dass Paare lernen, erwachsen mit den Überresten dieser frühen Strategien umzugehen und Verantwortung für ihre Impulse zu übernehmen. Eine sichere Paarbeziehung, in der die Angst vor Verletzlichkeit und die Verbindung Platz haben dürfen, kann so selbst zu einer korrigierenden Erfahrung werden.
Quellen
- Schwartz: Internal Family Systems Therapy (GB) | Buch/Therapie (1995)
- Forstmeyer: Einführung IFS (Video) | Video/Kurs (n.d.)
- Dysregulation of the Right Brain: Traumatic Attachment (Schore) | Studie (2002)
- Neurobiological Development in the Context of Childhood Trauma (PMC) | Studie (2019)
- Cumulative Developmental Trauma & Nervous System Impact (Khiron Clinics) | Artikel (n.d.)
- Porges: The Polyvagal Theory (GB) | Buch (2011)
