Glossar:

Primär- & Sekundäremotionen (EFT)

In der Emotionsfokussierten Therapie (EFT) sind Primäremotionen die verletzlichen Kerngefühle (wie Angst oder Scham), während Sekundäremotionen schützende Reaktionen darauf sind (wie Wut oder Rückzug). Das Bindungs-Status-Modell ergänzt hierzu, dass viele dieser "sekundären" Wut- oder Rückzugsreaktionen in Wahrheit primäre, essenzielle Reaktionen auf einen Status-Angriff (Verlust von Wert/Respekt) sind.

Detaillierte Beschreibung

Die Unterscheidung zwischen emotionalen Ebenen ist zentral, um Beziehungsdynamiken zu verstehen.

  • Die EFT-Perspektive: Hier werden Primäremotionen als unsere ursprünglichsten Reaktionen verstanden, die direkt mit dem Bindungsbedürfnis verknüpft sind (z.B. die Angst vor dem Verlassenwerden). Sekundäremotionen sind demnach eine reaktive Schutzstrategie, um diese Verletzlichkeit zu verdecken (z.B. Wut anstelle von Angst).
  • Verbindung zu IFS und Systemik: Diese Unterscheidung ist in anderen therapeutischen Ansätzen wie dem Internal Family Systems (IFS) hochrelevant. Dort werden Sekundäremotionen als die Handlungen und Gefühle der inneren Beschützer (Manager, Feuerwehrmänner) verstanden, die verzweifelt versuchen, die verletzliche Primäremotion des Exile (des verletzten Teils) zu verhindern.

Die Lücke in der bisherigen Perspektive

In vielen klinischen Ansätzen (insbesondere EFT) werden Bindungsemotionen (wie Angst vor Verlust oder Verlassenheit) oft unbewusst als die eigentliche, "wahre" primäre Emotion idealisiert. Das implizite therapeutische Ziel ist es dann, Wut und Defensivität schnell auf diese tiefere Verletzlichkeit zu reduzieren.

Eine Erklärung für diese Ideal-Vorstellung liegt in der Selbst-Selektion der helfenden Berufe: Die Felder Psychologie, Therapie und Coaching ziehen primär Bindungs-interessierte Persönlichkeitstypen (die "Pursuer") an. Sie neigen dazu, ihre eigenen inneren Bedürfnisse und verletzlichen Primäremotionen zu verallgemeinern, wodurch die andere Seite – die Welt des Distancers – theoretisch übersehen oder fälschlicherweise pathologisiert wird.

Ihr Bindungs-Status-Modell setzt hier an: Manchmal ist eine Emotion wie Wut jedoch keine Reaktion auf eine tiefere Verletzlichkeit, sondern die direkte, primäre und gesunde Reaktion auf eine Status-Verletzung. In diesen Fällen dient die Wut nicht dem Schutz einer Bindungsemotion, sondern der Verteidigung der eigenen Würde und des eigenen Wertes (Status). Ein zu schnelles Drängen auf die "verletzlichen" Bindungsgefühle kann legitime Probleme in der Machtverteilung und im gegenseitigen Respekt übergehen und ist daher kontraproduktiv.

Kontext

Das Bindungs-Status-Modell nutzt die Unterscheidung von Primär- und Sekundäremotionen, präzisiert sie aber entscheidend: Es erkennt an, dass es zwei gleichwertige Arten von primären Verletzungen gibt, die geschützt werden müssen:

  1. Primäre Bindungsemotion: Die Angst vor dem Verlust der emotionalen Verbindung, die durch die sekundäre Status-Emotion (Wut/Kritik) geschützt wird.
  2. Primäre Status-Emotion: Die Wut/Scham über die Verletzung des eigenen Wertes, die eine direkte, adaptive Reaktion auf eine Abwertung darstellt (und ebenfalls geschützt werden muss).

Diese Differenzierung ist der Schlüssel, um die Nähe-Distanz-Spirale vollständig zu verstehen und die Reaktionen des Partners nicht vorschnell zu pathologisieren. Sie erkennt die Wichtigkeit an, sowohl für die Bindung als auch für den Status zu kämpfen und dem Distancer eine Sprache für seinen Status-Schutz zu geben.

Quellen

October 18, 2025