Wenn Artikel oder Bücher über Beziehungsprobleme sprechen, landen wir oft in zwei Extremen: Entweder wird romantisiert – „Liebe heilt alles" – oder es kippt ins Persönlichkeitsentwicklungs-High-Performance-Denken: „Wenn ihr nur genug an euch arbeitet, wird es schon funktionieren."
Beides ist gut gemeint – aber oft wenig hilfreich. Denn die Realität ist: Beziehungen sind komplex. Nähe ist anstrengend. Und Beziehungsprobleme sind normal und unvermeidlich.
Dieser Artikel ist kein Reparaturversuch. Und auch kein Idealbild.
Sondern ein Blick durch eine realistische Brille:
Nicht perfekt. Aber ehrlich. Und damit vielleicht genau das, was euch jetzt weiterhilft.
Ein Satz, den fast jeder kennt – aber was steckt eigentlich dahinter? Hier sind sieben häufige Bedeutungen, wenn jemand von „Beziehungsproblemen" spricht:
Hinter dem Wort „Beziehungsprobleme" steckt also kein klar definierter Inhalt – sondern ein Bauchgefühl von Belastung, Entfremdung oder Unsicherheit. Es ist oft der erste Versuch, etwas Sprachloses greifbar zu machen.
"Irgendetwas läuft hier falsch!"
„Beziehungsprobleme" ist kein technischer Begriff. Es ist ein Sammelbegriff für all die Erfahrungen,
Beziehungsprobleme sind dort, wo ich mich nicht gesehen fühle. Wo ich mich ständig zurücknehme – oder ständig kämpfen muss. Wo Verbindung verloren geht. Oder nicht mehr reicht.
Das kann laut sein:
Streit, Vorwürfe, Affären.
Oder ganz leise:
Rückzug, emotionale Abwesenheit, das Gefühl, allein im selben Raum zu leben.
Manchmal ist es ein einzelnes Ereignis. Oft sind es jahrelange Muster, die sich immer wiederholen.
Beziehungsprobleme sind nicht alle gleich. Und um zu wissen, wie wir mit spezifischen Problemen umgehen, müssen wir sie erstmal einsortieren.
Hier ist eine erste hilfreiche Unterscheidung:
Sie entstehen, weil zwei Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Bedürfnissen und Temperamenten versuchen, ein gemeinsames Leben zu gestalten. Sie sind nicht schön, aber normal – Teil jeder längeren Beziehung.
Zum Beispiel:
Diese Probleme zeigen nicht, dass etwas kaputt ist – sondern dass ihr in Beziehung seid.
Und dann gibt es die Momente, in denen etwas wirklich bricht:
Diese Situationen sind qualitativ anders. Hier geht es nicht mehr nur um Unterschiede – sondern um einen Bruch im Fundament der Beziehung.
In solchen Fällen reicht es nicht, „besser zu kommunizieren". Es braucht Raum, Aufarbeitung, und manchmal eine ehrliche Klärung: Was ist noch heilbar? Was ist tragbar? Und was nicht mehr?
Dies ist schon eine erste wichtige Unterscheidung: Befindet ihr euch gerade in Mustern der "normalen" Probleme (die nicht weniger schmerzhaft sind) oder hat es einen Bruch gegeben und ihr seid in einer Krise?
Auch innerhalb der „alltäglichen" Probleme lohnt sich ein zweiter Blick. Denn sie sind nicht alle lösbar – zumindest nicht im klassischen Sinn.
Basierend auf der Forschung von John Gottman müssen wir unterscheiden:
Das sind Themen, bei denen ihr mit klarer Kommunikation, fairer Aufteilung und neuen Ritualen oft schnell weiterkommt.
Zum Beispiel:
Diese Probleme fordern Organisation – aber sie lassen sich klären.
Das heißt diese konkreten Probleme können mit der richtigen Strategie komplett gelöst werden.
Gottman zeigt: 69 % aller Beziehungskonflikte gehören in diese Kategorie.
Das sind Probleme, die trotz aller Anstrengung nicht dauerhaft gelöst werden können.
Beispiele?
Sie kehren immer wieder zurück – weil sie auf fundamentalen Unterschieden beruhen:
Wenn wir John Gottman ernst nehmen, dann steht fest: Der Großteil unserer Beziehungsprobleme entsteht nicht durch Fehler – sondern durch Unterschiede.
Gottman spricht von 69 %: Das heißt, 7 von 10 Konflikten zwischen dir und deinem Partner sind nicht lösbar. Zumindest nicht im klassischen Sinne. Denn es geht dabei nicht um konkrete Entscheidungen – sondern um wiederkehrende Reibungspunkte, die immer wieder neu verhandelt werden müssen.
Susi ist emotional sehr offen. Sie liebt es, über Gefühle und Konflikte zu sprechen – ausführlich, verbunden, tief. Das hilft ihr, Nähe zu spüren. Thomas ist eher pragmatisch. Er findet solche Gespräche schnell anstrengend. Für ihn zählt, dass „alles läuft".
Das ist kein einfaches Kommunikationsproblem. Das ist ein Mismatch im Grundmodus.
Kann Thomas lernen, besser zuzuhören? Ja.
Muss er das, wenn die Beziehung funktionieren soll? Auch ja.
Wird er dadurch so offen und gesprächsfreudig wie Susi? Nein.
Denn das ist nicht seine Art. Und das muss auch nicht schlimm sein – wenn sie beide lernen, mit diesem Unterschied umzugehen.
Zum Beispiel so:
Wenn sie diesen Unterschied ignorieren – oder versuchen, ihn wegzutherapieren – wird er zur Dauerbaustelle. Nicht, weil einer versagt. Sondern weil sie gegen etwas kämpfen, das zur Beziehung gehört.
Ich glaube, jeder Therapie- oder Coaching-Ansatz, der diese einfache Wahrheit vergisst, weckt bewusst oder unbewusst eine romantisierte Hoffnung auf Heilung.
Die Hoffnung, dass:
... aus zwei grundsätzlich verschiedenen Menschen irgendwann ein perfekt funktionierendes, emotional tief verbundenes Paar macht.
Ist Heilung möglich? Ja – bestimmte innere Muster können sich verändern. Verletzungen können integriert werden. Manches, was früher automatisch war, kann weicher werden.
Aber: Ob diese inneren Veränderungen reichen, um die Dynamik zwischen zwei Menschen fundamental zu verändern, ist eine ganz andere Frage.
Denn Beziehung ist nicht nur Innenschau. Sie ist auch Anpassung. Rhythmus. Temperament. Timing. Wille.
Viele Paare geraten in Dauerschleifen von Selbstarbeit, weil sie hoffen: „Wenn wir nur noch ein bisschen tiefer gehen, dann…"
Aber manche Unterschiede lassen sich nicht auflösen. Sie lassen sich nur gestalten. Oder – ehrlich gesagt – manchmal auch nur halten.
Frank ist extrovertiert. Er liebt Gesellschaft, neue Menschen, Dynamik. Laura ist introvertiert. Neue soziale Situationen kosten sie Kraft. Wenn sie auf Partys gehen, ist Ärger vorprogrammiert:
Sie streiten danach immer wieder. Aber das eigentliche Thema ist: Sie erleben dieselbe Situation völlig unterschiedlich.
Und auch das wird sich nicht grundlegend ändern – selbst wenn beide sich Mühe geben.
Diese Unterschiede sind nicht falsch. Aber sie reiben sich. Und sie verschwinden nicht – auch nicht durch Liebe oder „harte Arbeit".
Was möglich ist:
Weil es oft nicht um das konkrete Thema geht, sondern um eine tiefere Ebene. Susi will z. B. reden – über ihren Stress bei der Arbeit, ihre Unsicherheit mit den Kindern, das Gefühl von Distanz.
Aber egal welches Thema: Das Muster bleibt gleich. Sie sucht Nähe – Thomas zieht sich zurück.
Und genau so ist es in fast jeder Beziehung: Es gibt ein paar wiederkehrende, sensible Punkte. Sie verschwinden nicht. Aber sie lassen sich gestalten.
Nicht an irgendeine ideale Beziehung. Sondern an diese Beziehung. Mit diesem Menschen. Mit diesen Eigenarten.
Diese zwei Perspektiven bieten auch einen anderen Blick auf die Frage nach den typischen Beziehungsproblemen.
Denn:
Was genau diese sind, ist unglaublich individuell. Aber es gibt natürlich bestimmte Themen, die häufig auftreten - sowohl bei lösbaren als auch unlösbaren Problemen:
Lösbare Probleme
- Wer übernimmt welche Aufgaben im Haushalt?
- Wie gestalten wir unsere gemeinsame Freizeit?
- Wie viel Zeit verbringen wir mit Freunden / Familie?
- Wie organisieren wir Kinderbetreuung oder Care-Aufgaben?
- Wie viel Sex haben wir aktuell – und wann?
- Wer bringt das Thema „Urlaub planen“ oder „Finanzen“ ein?
Dauerhafte, unlösbare (perpetual) Probleme
- Unterschiedliche Nähe- und Rückzugsbedürfnisse
- Unterschiedlicher Umgang mit Konflikten (Angriff vs. Rückzug)
- Unterschiedliches Stressverhalten (Reizbarkeit vs. Rückzug)
- Unterschiedliches Bedürfnis nach Ordnung, Planung, Struktur
- Unterschiedliches sexuelles Grundtempo / Lustmuster
- Unterschiedliches Verhältnis zu Geld / Sicherheit / Risiko
Jedes dieser Themen kann – je nach Tiefe, Wiederholung und persönlicher Verletzlichkeit – von einem lösbaren zu einem tiefen, unlösbaren Konflikt werden.
Zum Beispiel:
Unsere Arbeitshypothese ist: Jedes Paar hat Probleme. Und die meisten von denen sind schon vorprogrammiert aus den Unterschieden beider Partner.
Aber viele Paare blicken zurück und sagen: "Aber am Anfang war doch alles gut. Da gab es diese Probleme nicht." Und meistens stimmt das sogar – zumindest ungefähr.
Der Anfang vieler Beziehungen ist geprägt von Rausch. Hormone, Nähe, Sex, Verliebtheit. Was man auch Limerenz nennt.
In dieser Phase kommt Nähe fast von allein.
In dieser Zeit übersehen wir viele der natürlichen Unterschiede. (Oft auch die sogenannten "Red Flags" die jeder von uns mit sich bringt.)
Manches, was später schwierig wird, wirkt zunächst sogar anziehend. Thomas' emotionale Zurückhaltung? Für Susi am Anfang: stabile Ruhe. Später: emotionale Unerreichbarkeit.
Diese Phase ist kein Irrtum – aber sie ist ein Ausnahmezustand. Wir sind fast wie auf Drogen. Vertrauen fühlt sich selbstverständlich an. Aber was wir da erleben, ist noch kein gemeinsames Fundament – sondern ein Vorschuss.
Gottman nennt das den positiven Sentiment Override – ein innerer Filter, der Nähe schützt und Reibung weichzeichnet.
Und dann – langsam, aber sicher – kehrt der Körper aus diesem Ausnahmezustand zurück.
Die Unterschiede, die vorher süß wirkten, beginnen zu reiben:
Jetzt beginnt die eigentliche Vertrauensphase. Nicht mehr hormonell – sondern emotional. Ganz real.
Jetzt zeigt sich:
Kann ich dir auch dann vertrauen, wenn du anders tickst als ich? Kann ich dich annehmen – auch wenn du dich nicht veränderst?
Viele Konflikte tauchen nicht zu Beginn der Beziehung auf, sondern genau hier – wenn die Brille der Idealisierung fällt. Wenn wir den anderen nicht nur als Ergänzung erleben, sondern als Gegenüber. Mit Eigenheiten, Wunden, Grenzen.
Das ist kein Fehler – sondern ein Übergang. Aber es ist der Moment, in dem viele Beziehungen entweder wachsen – oder zerbrechen.
Wir können diese Phase nur gut überstehen, wenn wir unsere Unterschiede anerkennen und dann lernen mit diesen gekonnt umzugehen.
Beziehungsprobleme verschwinden nicht von allein. Aber viele lassen sich bewegen – wenn wir bereit sind, ehrlich hinzuschauen und neue Fähigkeiten zu entwickeln.
Der erste Schritt ist oft der schwerste: Anerkennen, dass wir verschieden sind – und dass das nicht falsch ist.
Statt ständig zu kämpfen oder einander verändern zu wollen, können wir beginnen, über unsere Unterschiede zu sprechen – ohne abzuwerten.
Fragen wie:
Je mehr ihr darüber wisst – und es nicht als Fehler, sondern als Realität eurer Beziehung annehmen könnt – desto besser könnt ihr euch darin orientieren.
Das klingt banal – ist es aber nicht.
Kompromisse, klare Absprachen, faire Aufteilung – das ist eine erlernbare Fähigkeit. Viele Paare streiten nicht, weil sie sich nicht lieben – sondern weil ihnen konkrete Tools fehlen, um ihren Alltag gemeinsam zu gestalten.
Wenn ein Thema sich wiederholt, geht es oft nicht ums „Lösen" – sondern ums Verstehen und Halten.
Hier geht es um intime, ehrliche Gespräche:
Diese Gespräche sind keine Technik – sie brauchen Mut und Präsenz. Aber sie schaffen Nähe an Stellen, wo vorher nur Frust war.
Gute Beziehungen entstehen nicht nur durch Problemlösung – sondern durch gelebte Verbindung im Alltag.
Je stabiler die emotionale Basis, desto leichter lässt sich auch mit Konflikten umgehen.
Wenn eine Beziehung tief in Problemen feststeckt, hakt es oft auch am Vertrauen. Das ist nur natürlich – und kein Zeichen von Scheitern.
Wenn ihr gemeinsam einen Schritt weiterkommen wollt, kann es hilfreich sein, gezielt auf die vier zentralen Vertrauenssituationen zu schauen. Denn je besser ihr mit diesen Momenten umgeht, desto leichter wird es langfristig, über eure Konflikte und Unterschiede zu sprechen.
Die vier Fragen lauten:
Diese Situationen sind wie kleine Prüfsteine im Alltag. Wenn sie immer wieder scheitern, entsteht Misstrauen – selbst in Beziehungen, die „eigentlich" gut laufen. Aber wenn ihr lernt, sie zu erkennen und bewusst zu gestalten, entsteht etwas Tieferes als Harmonie: echte Bindung.
Manchmal stecken wir in einer Krise fest – aber unter der Oberfläche ist da noch Bindung, noch Bereitschaft, noch Hoffnung. Und manchmal kämpfen wir weiter, obwohl längst klar ist: Etwas hat sich so tief verschoben, dass es kein gemeinsames „Wir" mehr gibt.
Wenn wir Beziehungen durch eine realistische Brille betrachten, dann geht es nicht darum, vorschnell aufzugeben – sondern ehrlich zu prüfen: Worum geht es hier eigentlich?
Hier sind ein paar Fragen, die dir helfen können, das einzuordnen:
Es gibt Unterschiede, die schwer tragbar sind – z. B. massive Unterschiede im Konfliktstil (emotional aufbrausend vs. stark vermeidend). Auch hier zählt nicht nur die Differenz – sondern der Umgang damit.
Diese Fragen geben keine eindeutige Antwort. Aber sie helfen, wieder klarer zu sehen, worum es in eurer Krise wirklich geht: Ist da noch Verbindung – oder nur noch Gewohnheit? Ist da noch etwas Tragfähiges – oder haltet ihr euch gegenseitig klein?
Manchmal reicht es, ehrlich hinzuschauen. Und manchmal braucht es jemanden, der euch hilft, das gemeinsam zu tun.
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