Zwei Wege in die Beziehungskrise – und wie man sie erkennt
Manche Beziehungen enden laut – mit Streit, Vorwürfen, Tränen. Andere enden leise – nach Jahren der Distanz, ohne großen Knall. Beides hat John Gottman in über 20 Jahren Forschung beobachtet. Und beides beginnt lange bevor jemand die Trennung ausspricht.
Zwei Arten, wie Beziehungen auseinandergehen – laut oder leise
- Die "laut explodierenden" Paare Sie streiten, kritisieren, verletzen sich, ziehen sich zurück. Sie sind das Paar, das aus dem Restaurant stürmt, weil etwas Falsches gesagt wurde. Sie trennen sich, weil der Konflikt eskaliert. Statistisch meist nach etwa 5 Jahren.
- Die "leise distanzierenden" Paare Sie streiten nicht. Aber sie lachen auch nicht. Sie sind das Paar, das drei Stunden im Restaurant sitzt – und zwölf Worte wechselt. Sie trennen sich, weil die Positivität verschwunden ist. Meist nach rund 14 Jahren.
Von außen sehen diese Beziehungen ganz unterschiedlich aus. Aber beide enden statistisch in Trennung – wenn keine bewusste Veränderung einsetzt.
Pfad 1: Die laute Eskalation – Wenn Konflikte explodieren
Jede Beziehung hat Probleme. Und jede Beziehung hat Konflikte, Reibereien. Bei den "lauten Paaren" eskalieren diese Konflikte. Sie bilden eine zerstörerische Abwärtsspirale. Diese Paare sind nicht nur "leidenschaftlich" (die gibt es auch – und sie können sehr glücklich sein), sondern negativ:
Sie: Du hast schon wieder deine Socken nicht weggeräumt. Du bist immer so unordentlich. Er: So schlimm ist das nicht ... Und kannst du mich nicht EINMAL in Ruhe lassen? Sie: Ich dich in Ruhe lassen? Dann räum deinen Scheiß auf! Du bist ein kleines Kind, manchmal. Er: Macht dicht und zieht sich zurück. Beide: Fühlen sich verletzt, allein und wütend.
Diese Dynamik zeigt sich meist in vier wiederkehrenden Mustern – den sogenannten „Vier Reitern der Apokalypse“:
- Kritik – Angriff gegen den Charakter des Partners (Du bist IMMER so unordentlich – kannst du mich nicht EINMAL in Ruhe lassen?)
- Verteidigung – Gegenangriff oder Rechtfertigung (So schlimm ist das nicht – Ich dich in Ruhe lassen?)
- Verachtung – Ausdruck von Spott oder Respektlosigkeit (Du bist ein kleines Kind!)
- Stonewalling – Innerer Rückzug und Abschalten (Er zieht sich emotional zurück)
Sobald diese vier Muster sich in einer Beziehung festsetzen, steigt die Trennungswahrscheinlichkeit rasant. Sie alle zerstören das Beziehungsfeld zwischen zwei Menschen.
Und die "lauten Paare" stecken in einer Spirale fest, in der sie diesen Mustern nicht mehr entkommen. Selbst wenn sie versuchen, wieder zueinander zu finden, landen sie immer wieder in genau denselben Schleifen. Bis es nicht mehr geht – und sie sich trennen.
Pfad 2: Die stille Distanzierung – Wenn nichts mehr passiert
Ganz anders sieht es bei den Paaren aus, die sich "einfach auseinanderleben". Hier sieht man häufig keine Kämpfe. Keine Reiter der Apokalypse.
Diese Paare zerbrechen nicht, weil die Negativität übernimmt – sondern weil die Positivität verschwindet. Es ist, als würde der Lebenssaft der Beziehung versiegen.
Er: Puh, ich hatte einen richtigen Scheißtag. Sie: Schaut auf ihr Telefon. Er: Auch.
In vielen Fällen bleibt der Alltag funktional, aber leer (anders als bei den lauten Paaren, wo der Alltag oft auch nicht mehr funktioniert).
- Humor, Zärtlichkeit? Verschwunden.
- Neugierde, Gespräche? Verstummt.
Diese Paare können Jahre auseinanderdriften, bevor die Situation untragbar wird. Gibt es am Ende auch Kritik und Stonewalling? Oft ja – aber erst nach Jahren der Entfremdung.
Sie trennen sich meist nach rund 14 Jahren – nicht wegen zu viel Streit, sondern wegen zu wenig Verbindung.
Paare haben unterschiedliche Gefahren
Nicht alle Beziehungen scheitern gleich – und nicht alle Paare geraten aus denselben Gründen in Krisen.
Das zu verstehen ist zentral. Denn jedes Paar entwickelt mit der Zeit ein eigenes Konfliktsystem – also eine bestimmte Art, mit Reibung, Stress oder Meinungsverschiedenheiten umzugehen. Dieses System kann funktionieren – solange es für beide halbwegs passt.
Ein paar typische Muster:
- Konfliktvermeidende Paare Sie streiten selten. Probleme werden schnell „geklärt“ oder weggeschoben. Die Harmonie ist wichtig – manchmal zu wichtig.
- Konfliktfreudige Paare Sie streiten schnell, laut, manchmal hitzig – aber auch herzlich. Für sie ist Konflikt oft Teil von Nähe, Energie, Kontakt.
Beide Paartypen können glücklich sein. Aber: Wenn es zur Krise kommt, zeigt sie sich völlig unterschiedlich.
Wie Krisen sich je nach Paardynamik zeigen:
- Bei konfliktvermeidenden Paaren Der Kontakt wird leiser. Gespräche versiegen. Man driftet auseinander – oft ohne es zu merken. Gefahr: stille Entfremdung.
- Bei konfliktfreudigen Paaren Die Konflikte werden härter, zynischer, persönlicher. Man explodiert – immer wieder. Gefahr: emotionale Eskalation.
3 Schritte, die euch helfen können
Gottmans Forschung zeigt: Beziehungsmuster sind früh erkennbar – und durch gezieltes Training veränderbar.
1. Erkennt euer Konfliktsystem
Jedes Paar hat sein eigenes Konfliktmuster. Fragt euch: Neigen wir eher zum Explodieren – oder zum Einfrieren? Oder habt ihr unterschiedliche Tendenzen, die sich im Streit zuspitzen?
→ Allein dieses Wissen hilft, mehr Bewusstheit in Konflikte zu bringen.
2. Wenn ihr eher laut werdet: Reparatur üben – mitten im Streit
Lernt, die kleinen Momente zu erkennen, in denen ihr wieder auf Verbindung umschalten könnt – auch wenn der Streit noch läuft.
- Ein „Stopp, das eskaliert gerade.“
- Ein kurzes Lächeln.
- Ein Seufzen.
- Oder ein ehrlicher Blick.
→ Diese Reparaturversuche sind entscheidend. Ohne sie bleibt ihr in der Eskalationsspirale gefangen.
3. Wenn ihr eher leise werdet: Bids erkennen – und beantworten
In jeder Beziehung gibt es täglich kleine Momente, in denen wir die Aufmerksamkeit des anderen suchen. Diese sogenannten Bids (kleine Verbindungsangebote) sind wie Minipfade zur Nähe:
→ Reagiert darauf – auch wenn ihr müde seid, keine Lust habt oder denkt: „So wichtig ist das nicht.“
- Ein kurzer Blick.
- Ein echtes Zuhören.
- Ein kleines Nachfragen.
Das ist Beziehungspflege – mitten im Alltag.
Natürlich gelten diese Tipps für alle Paare – aber je nach Konfliktsystem sind sie besonders entscheidend.
PS: Wenn ihr eure Beziehung nicht nur verstehen, sondern gemeinsam gestalten wollt – hier ist unser PDF mit den 7 Geboten des Beziehungsgärtnerns.
Lies mehr
Discover insights and tips from our latest articles.